Ende April war ich am alljährlichen
Weiterbildungskurs der Schweizer Kapuzinerinnen. In den vier Tagen waren wir
mit dem Thema: „Liturgie und Leben sind EINS“ unterwegs. Zu Beginn der
Kursarbeit wurden wir aufgefordert, uns über folgende Frage Gedanken zu machen:
„Was für ein Gottesdienst hat mich ganz besonders berührt?“
Ich machte mir sehr gerne Gedanken
darüber, denn mir fiel so einiges, schönes ein und ich schwelgte einen Moment
lang in angenehmen Erinnerungen.
Dann fiel mir noch etwas ein. Es
war kein Gottesdienst und es war keine schöne Situation, aber doch tief
berührend. Ich möchte euch davon erzählen. Eine persönliche Geschichte aus
meinem Leben, aus dem Leben meiner Familie…
Es war der 18. Mai 2006, als es morgens
um 4.30 Uhr an der Tür klingelte. Ein Polizist war da, der uns die Nachricht
überbringen musste, dass mein Bruder schwer verunfallt ist. „Es sieht nicht gut
aus“, hat er gesagt. Das Bein amputiert, die Hand zertrümmert und schwere
Kopfverletzungen. Die Prognosen für ihn waren düster und die Überlebenschancen
50 zu 50…wenn überhaupt.
Das war ein harter Schlag für die
ganze Familie. Meine Eltern fuhren am Morgen zu ihm in die Klinik und meine
anderen beiden Geschwister und ich blieben zu Hause.
Am Mittag waren wir bei einer Tante
und ihrer Familie zum Essen. Im Hintergrund lief das Radio, wo mehrmals vom
verunfallten 22-jährigen berichtet wurde.
Am Küchentisch haben wir abgemacht,
dass wir uns um 18.30 Uhr in der Lourdes Grotte treffen, zum gemeinsamen
Rosenkranzgebet für unseren Bruder.
Und nun zu diesem besonderen Gebet,
das mich auch heute, nach 13 Jahren noch ganz tief berührt und bewegt wenn ich
daran denke.
Als meine beiden Geschwister und
ich, um 18.30 Uhr in die Grotte kamen, war sie übervoll mit Leuten aus dem
Dorf. Alle waren da, weil sie von diesem Unfall gehört haben. Alle waren da um
für unseren Bruder zu beten. Wir waren sechs Personen am Küchentisch und ich
konnte es kaum glauben, wie schnell sich das herumgesprochen hat und wie gross
die Anteilnahme war. Es brannten viele viele Kerzen, es war ein Lichtermeer.
Die Situation war traurig und
ungewiss. Aber wir wurden als Familie getragen von der Gemeinschaft eines
ganzen Dorfes.
Ja, das ist der berührendste Gottesdienst,
das berührendste Gebet, das ich erlebt habe. Liturgie und Leben sind EINS, das habe
ich selten so intensiv erfahren.
Noch heute, wird in dieser Lourdes
Grotte täglich den Rosenkranz gebet, seit diesem 18. Mai vor 13 Jahren. Es wird
gebetet für aktuelle Anliegen der Welt oder des privaten Umkreises.
Und ich bin von Herzen dankbar,
dass mein Bruder es geschafft hat. Dass er trotz seiner körperlichen
Einschränkung ein selbständiges Leben führen kann.
Das Gebet vermag nicht alle Wunden
zu heilen. Aber es trägt in guten, wie auch in schweren Zeiten. Das ist meine
Erfahrung.
Ich wünsche euch einen guten
Sonntag!
Sr. Lea